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Vassilis Alexakis: Die fremden Wörter

  765 Wörter 3 Minuten 841 × gelesen
2017-05-01 2017-05-01 01.05.2017

"Die Romane haben immer eine Entdeckung zum Thema“ sagte ich einmal zu George. "Oder einen Verlust“ fügte er hinzu". Ich kann mir aber sehr wohl ein Buch vorstellen, das sowohl von einer Entdeckung als auch von einem Verlust spricht (S. 333).

Und so ist es genau in diesem Roman von V. A.: Der Verlust war der Anlass des Buchs, die Entdeckung eine innere Not, die den Inhalt ausmacht, und das Ergebnis, ein neuartiger Roman über eine fremde, die fremdeste Sprache, und deren Erlernen, wie auch deren Umgebung, welche die Handlung, die Philosophie und seine Intention bestimmt.

Bei jedem Tod einer sehr nahe stehenden Person, wie Mutter oder Vater, bleibt man sprachlos, beziehungsweise untätig. Einem Schriftsteller gar bleibt die Intuition stumm, er vermag nicht mehr zur Feder zu greifen, seine Gedanken drehen sich um die Kinderjahre, um Erlebtes und Versäumtes, um glückliche und enttäuschende, wichtige oder kaum bemerkte Geschehnisse, die einem bewusst oder unbewusst ihren Stempel aufgedrückt haben: alles Stoff genug für einen Roman, doch die Kraft reicht nicht aus zu komponieren, zu schöpfen. Der Verlust lähmt die Lust, man fühlt sich leer, man kann nicht einmal einen halb gelesenen Brief zu Ende bringen. Gleichzeitig entsteht und wächst der Wunsch, etwas ganz Neues zu beginnen, als könnte man das Leben neu anfassen über den Tod hinaus, als könnte man damit den Tod überlisten.  

Von solchen und ähnlichen Themen handelt das Buch „Die fremden Wörter“. Das „Neue“ ist - für einen Schriftsteller nicht ungewöhnlich, zudem Alexakis mit dem Problem Sprache sich ständig literarisch auseinandersetzt (cf. seine Romane: „Mutersprache“, „Paris – Athen“, „E“, aber auch sonst, in allen seinen Werken), eben eine neue Sprache zu erkunden. Eine afrikanische Sprache, die Sprache der Union Zentralafrikas, Sango. Sie wird ihm im Konkreten völlig nutzlos sein, sie ist schwierig, denn sie hat keine gemeinsamen Wurzeln mit einer anderen Sprache, woran man sich festhalten könnte, nicht einmal schriftlich ist sie fixiert, hat keine offensichtlichen Regeln und ist keiner für Mitteleuropäer zugänglichen Grammatik unterworfen, also deren Erlernen ist nur durch das Ohr möglich. Er, der Ich-Erzähler, der „es schon immer sehr schwer hatte, eine Fremdsprache zu lernen“, klebt nun an diesem Wunsch, wälzt in Enzyklopädien und Lexika, sucht und findet Personen, die ihm weiterhelfen können, sogar eine Reise nach Bangi, der Hauptstadt der Union anzutreten; die Fremdsprache ist ab jetzt seine Geliebte, denn „die fremden Wörter haben ein Herz. Sie werden gerührt durch den einfachsten Satz, die in ihrer Sprache geschrieben worden ist, auch wenn er voller Fehler sein sollte“.

Aber wie kann man einen Roman von 333 Seiten verfassen, indem man nur auf der Suche nach einer Sprache ist?

Nun; eine Sprache wird von Menschen gesprochen, und Alexakis wäre nicht Alexakis, wenn er seinen Umgang der besonderen Art mit den Menschen  auch hier nicht hätte auskosten wollen und können. Mit einem immer für Überraschungen sorgenden, zuweilen auch bitteren Humor, begegnet er den Einheimischen in Bangi, wohin ihn  die neue Sprache verschlagen hat, Menschen-Überbleibseln der französischen Kolonialzeit, offiziellen Vertretern der Obrigkeit dieses elementaren Staates, ja sogar der Königin, und auch Intellektuellen, die oft im Ausland studiert oder einfach sich dort aufgehalten haben, und nun in ihrer von der fremden Herrschaft befreiten Heimat die gesunden Kräfte des Volks und dessen Ausbildung fördern wollen. Somit bietet er eine Auswahl aus allen Schichten der Bevölkerung. Er schont aber niemanden mit verklärten, sozusagen folkloristischen Ansichten, sondern er versucht auch hinter der oft benützten List, mit großer Sympathie den Kampf der Menschen ums Überleben aufzuspüren. Sehr bald fühlt er sich wohl in diesem Land. Er gewinnt großartige Ansichten: Tag für Tag entdecke ich, dass es in Afrika keine Schwarzen gibt. Nur in anderen Kontinenten ist ihre Farbe sichtbar. Ihre Haut ist eine Verkleidung der Trauer, wenn sie emigrieren. Auch der Begegnung mit der Natur und den Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen räumt er wunderschöne Beschreibungen ein, genauso wie er mit außergewöhnlichen Sprachbildern Momentaufnahmen des Alltags ausmalt.

Und immer wieder die Sprache im Vordergrund; auch wenn er Fetzen davon, auch Fetzen von Erklärungen über verschiedene Phänomene mitbekommt, ist es die Sprache und die Faszination, welche sie auf ihn ausübt, der rote Faden der Erzählung; er will durch sie den inneren Frieden finden, und durch diesen außerordentlich mühsamen Weg der Erkenntnis ihrer Struktur und ihrer Besonderheiten schließlich die Erkenntnis seines eigenen Ichs ein Stückchen voran treiben: Ich weiß nicht wie ich mit dem Buch anfangen soll, weiß aber, dass ich es mit fremden Wörtern  beenden will. Wie könnte ich mich nicht selbst erkennen in einer Erzählung, die mit einer Sprache beginnt und mit einer anderen endet? Buku ti bi aue.

Vassilis Alexakis, „Die fremden Wörter“
(Roman)
Athen (Exantas) 2003

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